Friday 4 February 2011

Blue Valentine

Derek Cianfrance's Blue Valentine erzählt seine Geschichte in zwei Zeitebenen. Der Prozess des Filmes stimmt mit seinem Aufbau übereins: beide Schauspieler setzten sich jahrelang mit ihren Rollen auseinander, ohne sie miteinander zu diskutieren, dann wurde der erste zeitliche Abschnitt gefilmt, in dem sich die beiden Hauptcharaktere ineinander verlieben, dann erkämpfte sich Cianfrance - mit dem eigentlichen Plan im Kopf, tatsächlich acht Jahre verstreichen zu lassen, um die Schauspieler altern zu lassen und in den emotionalen Zustand zu kommen, in dem die Charaktere acht Jahre nach ihrer Hochzeit sind - einige Wochen Drehpause. Der zweite, von vielen Kritikern als "devastating" bezeichnete Abschnitt, zeigt das Ausmaß des Schadens, den sich zwei Personen, die sich einmal geliebt haben und ein Kind miteinander haben, gegenseitig zufügen können ("What do you want, how much rejection am I supposed to take? I deserve affection.", sagt Dean während einer der am schwersten zu ertragenden Szenen des Filmes). Michelle Williams ist eine erfolgreiche und ambitionierte Krankenschwester, die von einem (in sie verliebten) Arzt die Möglichkeit angeboten bekommt, mit ihm in einer teuren Privatpraxis zu arbeiten. Ryan Goslings Charakter ist ein Künstler - Musiker - der sich ohne abgeschlossene High School mit einfachen Jobs, die ihm erlauben, schon um acht in der Früh ein Bier zu trinken, durchschlägt. Er hat keinerlei Ambitionen, was seinen Beruf betrifft, und ist im Gegenteil glücklich darüber, dass er so wenig Energie und Zeit wie möglich dafür aufwenden muss, weil ihm das die Möglichkeit gibt, den Kopf für die Dinge freizuhaben, die er lieber tut. Gleichzeitig will er aber auch dieses "Potential", wie es seine Ehefrau bezeichnet, nicht kommodifizieren - "What does potential even mean? What does that mean, potential? Potential for what? To turn it into what?"
Die Charaktereigenschaften, die beide aneinander schätzten, wurden im Laufe der Jahre (die wir nicht sehen, aber das Resultat ist die Ausgangssituation für den zweiten Zeitabschnitt) zu den Auslösern für die ewigen Streits: seine liebenswürdige Ambitionslosigkeit, die anfangs romantisch, später nur noch nervig ist, ihre Zielstrebigkiet und Sturheit, an der er sich aufreibt in seinen Versuchen, durch artifizelle Spontanität die Beziehung doch noch zu retten, während für sie langsam andere Menschen interessanter werden. Dean findet in den kleinen Dingen mehr Erfüllung, während sie ständig unzufrieden ist. Er ist der Träumer, der beim Frühstück mit der gemeinsamen Tochter Chaos und Zerstörung anrichtet, sie diejenige, die danach alles aufräumen muss. Gleichzeitig steckte Cindys Mutter jahrelang in einer zerstörerischen, lieblosen Ehe fest und fand keinen Weg, sich daraus zu befreien - sie lebt mit der ständigen Angst, dieses Vorbild zu wiederholen und ihre eigene Tochter in eine ähnlich unglückliche und ausweglose Situation zu bringen wie sie, wenn sie am Küchentisch nur zusehen konnte, wie ihr Vater ihre Mutter terrorisierte.
Dabei ist Gewalt ein immer wiederkehrender Faden. Dean wird von Cindys Exfreund, der vielleicht der Vater des Kindes ist, aber keinerlei Qualitäten aufweist, zusammengeschlagen. Cindys Vater reagiert aggressiv auf ein Dinner, mit dem er nicht zufrieden ist, und wirft mit Tellern um sich. Dean erzwingt Information, in dem er droht, auf einer Brücke zu balancieren.
Das Motiv der zerstörten Ehe ist eines, das schon oft aufgearbeitet wurde (die Sticheleien erinnern streckenweise an Who's Afraid of Virginia Woolf), aber Cianfrance schafft es mit den zwei Zeitebenen, eine viel wichtigere Frage zu stellen: nimmt der Ausgang der Liebesgeschichte ihrem intensiven Beginn die Kraft? Sind die (weitgehend improvisierten) Szenen weniger wahr, nur weil das Ende nicht glücklich ist? In einer Kritik an der Miniserie The Pacific meinte ein Kritiker, dass eine Szene "eine Lüge über den Tod" erzähle - und so viele Liebesfilme erzählen Lügen, indem sie an einem passenden Moment das Ende setzen und verschweigen, was danach kommt. Blue Valentine erzählt keine Lügen, und ist der schönste und ehrlichste Film seit langem, der über sich selbst hinaus die Frage aufwirft, wie Filme formal produziert werden sollten.
 
2010, Regie: Derek Cianfranco, mit Michelle Williams, Ryan Gosling, Faith Wladyka, Ben Shenkman, Eileen Rosen, John Doman.

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