Sunday 2 August 2009

The State I Am In Part I - After the Bombs

In "Jericho", unter anderem mitkreiert von Stephen Chbosky, der mit "The Perks of Being a Wallflower" einen Jugendroman geschrieben hat, der den Vergleich mit "Catcher in the Rye" tatsächlich verdient hat, muss sich der Zuseher nicht anstrengen, um die Parallelen zur aktuellen Gesellschaft zu finden. Im Gegensatz zu "Battlestar Galactica" ist "Jericho" eine geradlinige Versuchsanordnung, die den ständigen Ausnahmezustand der Bushjahre weiterdenkt und eskalieren lässt: ebenfalls ein Unterschied zu "Battlestar Galactica", und hier ähnelt die Serie wiederum mehr "Lost" (beiden erwähnten Vergleichen verdankt sie einige ihrer stilistischen Elemente, wie etwa die dramatischen Ausblenden, die unspektakuläre und bedrohliche Titelsequenz, die Nähe zu den Charakteren), ist die Perspektive. Statt die große weite Welt der USA, die plötzlich erschüttert wird, aus der Perspektive jener zu sehen, die sie mitgestalten, wird der Zuseher von Beginn an zum Bewohner einer Kleinstadt in Kansas, und wie den Hauptcharakteren bleibt ihm nichts anderes übrig, als diese Beschränkung anzunehmen.
Aber zum Anfang: ein heimgekehrter verlorener Sohn des Bürgermeisters von Jericho, Jake (Skeet Ulrich), will nur sein Erbe des verstorbenen Großvaters abholen und sich dann anderswo ein neues Leben aufbauen, als sich plötzlich alles ändert. Nicht unähnlich "True Blood", wird die politisch brisante Ausgangssituation durch Hintergrundgeräusche (das Autoradio, der Fernseher im Pub) angedeutet, doch die richtigen Nachrichten werden dann ohne vermittelnde Technik wahrgenommen. Ein kleiner Junge, der auf das Dach seines Hauses geklettert ist, sieht in der Ferne einen aufsteigenden Atompilz.
Damit endet für Jericho der Kontakt zur Außenwelt. Die modernen Medien versagen, übrig bleibt ein bedrohliches Rauschen und die Unsicherheit, was in Denver geschehen ist. Eine letzte aufgezeichnete Nachricht auf dem Anrufbeantworter von Dale (Erik Knudsen), einem sechzehnjährigen Jungen, dokumentiert eine Explosion im weiter entfernten Atlanta (und den Tod seiner Mutter).
Die nächsten Tage und Wochen in Jericho verbinden zwei Dinge: einerseits versuchen die Bewohner, mit knapper werdenden Ressourcen zu haushalten, und als Gemeinschaft den neuen Bedrohungen (etwa der fall-out der Explosionen) zu begegnen, andererseits beginnt der Versuch, Informationen über das zu sammeln, was geschehen ist, ohne dass eine verlässliche Quelle verfügbar wäre. Der Narrativ ist ein individualisierter: Flüchtlinge erzählen, was sie auf der Reise aufgeschnappt haben, eine automatisierte Nachricht der Homeland Security verspricht baldige Hilfe, die aber nicht kommen will. So wird Jericho zu einem Stadtstaat, der gewählte Bürgermeister zum Präsidenten einer kleinen Welt, der schwierige Entscheidungen treffen muss. Dinge, die bis jetzt selbstverständlich waren, werden knapp: neue Wege müssen gefunden werden, um unabhängig von Gas Elektrizität zu gewinnen, Nahrungsmittel werden knapp, der Winter naht. Wo in "Battlestar Galactica" die große Katastrophe eigentlich erst mit der demokratischen Wahl eines unzuverlässigen und kompromittierten Führers begonnen hat, spielt sich in Jericho ähnliches ab: Mayor Green (Gerald McRaney), dessen Sohn Jake anhand der Krise und wegen seines geheimnisvollen Backgrounds als "soldier for hire" zum verlässlichen Helden aufsteigt, wird abgewählt. Stattdessen kommt der populistische Gegenkandidat an die Macht, der sich alsbald als überfordert herausstellt, vor allem, als Nahrung und Strom ausgehen und sich die Frage stellt, ob die Bewohner Jerichos weiterhin bereit sind, mit den Flüchtlingen zu teilen, die sie beherbergen. Jericho, so das Argument, funktioniert nur als kooperierende Gemeinschaft, in der Konflikte weiterhin nach alten rechtstaatlichen Regeln gelöst werden, egal wie absurd dies in dieser Situation noch erscheinen mag (das anarchische Gegenstück ist der Bandit Jonah, gespielt von James Remar, der sich schnell an die Umstände anpasst, an die "new world order" vom Fressen oder Gefressenwerden) - aber andererseits birgt diese Gemeinschaft auch immer eine Gefahr aus sich heraus, wenn sie entscheidet, wer dazugehört und wer nicht. Dass gerade dieser Vorgang besonders in Krisenzeiten für die Ausgeschlossenen tödlich enden kann, ist nicht unbedingt eine Weisheit, die "Jericho" gepachtet hat.
Das große Bild als solches beginnt sich erst am Ende der ersten Staffel abzuzeichnen, als die ungefähren Tatsachen langsam festehen. Der Staat scheint nicht mehr im Stande zu sein, schlichtend einzugreifen, selbst wenn wer noch existiert, sind seine Ordnungshüter weit von Jericho entfernt. So ergibt sich eine Situation, die an die Gründungsjahre der Vereinigten Staaten und die Expansion in den Westen erinnert: die Peripherie bleibt sich selbst überlassen und improvisiert ihr eigenes Recht. Souveräne Städte handeln miteinander, wobei Jericho sich als gesegnet erweist, da es sowohl eine Lebensmittelbasis mit seiner Landwirtschaft besitzt, als auch mit einer ertragreichen Salzmine einen wichtigen, teuren und potentiell knappen Rohstoff. Aber jene, die Haben, sind natürlich immer bedroht von denen, die nichts haben. Nach Einführung einer äußeren Bedrohung mit einer Armee privater Söldner, Ravenwood (natürlich angelehnt an Blackwater, inklusive Missachtung der Menschenrechte, nur jetzt eben nicht mehr auf fremdem Gebiet, sondern in den wehrlosen Städten) entpuppt sich eine Nachbargemeinde als größere Bedrohung. Ausgehungert, terrorisiert durch Ravenwood und ohne ökonomische Grundlage außer einer Fabrik entscheidet sich deren Bürgermeister Constantino (Timothy Omundson) zu einem offenen Krieg um Ressourcen und Territorium. Wer eine Fabrik hat, wird in Krisenzeiten Waffen herstellen.
In der zweiten, wegen der drohenden Absetzung verdichteten Staffel, bekommen die Bewohner von Jericho und die Zuseher endlich das große Bild zu sehen. Kurz vor einer bevorstehenden Katastrophe in dem Krieg zwischen den beiden Städten, der bereits Jakes Vater das Leben gekostet hat und eine Versöhnung deswegen unmöglich erscheinen lässt, greift das Militär ein. Das kurze Durchatmen dank der scheinbar zurückgekehrten Ordnung eines bereits verloren geglaubten Staates dauert nur kurz an: an der gehissten Flagge ist etwas falsch, und ebendieses Zerrbild scheint über dem gesamten Handeln der "westlichen" amerikanischen Staaten, der sogenannten Allied States of America, zu liegen - die ihrerseits gegen die Überreste der alten Vereinigten Staaten, in denen die präsidiale Nachfolge nach der Vernichtung Washington von DC (insgesamt wurden 23 Großstädte vernichtet, nur New York blieb verschont) zu spät und nicht überzeugend genug geklärt wurde. Diese neuen amerikanischen Staaten werden von einem religiös motivierten, konsevativen, dynamischen Senator geführt, und nicht nur vom Militär verteidigt, sondern auch von Ravenwood, unterstützt durch einen allmächtigen Konzern namens Jennings and Rall, der neben Versicherungen, der gesamten staatlichen Verwaltung, der Verteilung von Ressourcen, auch beinahe alle anderen staatlichen Monopole untergraben hat. Diese amerikanische Regierung wird nicht von einem Konzern beeinflusst - sie ist ein Konzern, und der Ausnahmezustand hat dies erst ermöglicht. Die Verschwörung rund um die Bomben - wer sie gelegt hat, etc. - wird ebenfalls verhandelt, und neben der größeren politischen Dystopie bietet "Jericho" auch einen spannenden Thriller, in dem sich ehemalige Geheimagenten bekriegen (und natürlich ein "Bildungsroman" des reumütigen heimgekehrten Sohnes, der schließlich zur Gemeinschaft geläutert zum Helden und, letztendlich, Revolutionsführer aufsteigt)- aber der schockierende und verfrühte Abschluss der Serie, an dem ein Bürgerkrieg noch als best case scenario erscheint, ist vielleicht ein konsequenteres Ende, als es manche Serien erzählt haben, die dazu genug Zeit hatten.

"Jericho", 2006-2008, Creators: Stephen Chbosky, Josh Schaer, Jonathan E. Steinberg, mit Skeet Ulrich, Lennie James, Ashley Scott, Kenneth Mitchell, Brad Beyer, April Parker-Jones, Alicia Coppola, Pamela Reed, Bob Stephenson, Gerald McRaney, Clare Carey, Michael Gaston, Erik Knudsen, Shoshannah Stern, Sprague Grayden.

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