Tuesday 4 November 2008

Deadwood

A Nation, Born From Greed, Blood and Gold.

In einem Essay über Amerika schreibt Sarah Vowell, der Unterschied zu Canada ist, dass dort das Gesetz vor den Siedlern kam: das Land wurde befriedet, es gab strikte Regeln. Es gibt zwei verschiedene Versionen des US-amerikanischen Gründungsmythos. Einer spielt an der Ostküste und dreht sich um idealistische Dokumente, die Erfindung einer Republik, fantastische Reden und Sätze wie "We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness." Der andere erzählt von den Pionieren, die in neues Territorium vordringen, um genau dort ihr Glück zu suchen - ein Heldenmythos, an dem nicht einmal die brutalen Fakten über den Massenmord an der Urbevölkerung wirklich gekratzt haben.
Die Stadt Deadwood ist am Anfang der Serie noch nicht Teil des amerikanischen Territoriums. Die Glückssuchenden kommen vor dem Gesetz, sie errichten ihre Stadt, sie schürfen nach ihrem Gold, errichten die notwendigen Institutionen, um das gesellschaftliche Leben zu regeln, und dann darf der meistbietende Staat (hier konkurrieren Montana und Dakota) sich das Gebiet einverleiben, das eigentlich den Lakota gehört - aber die Entdeckung von Gold durch General Custer hat einen Goldrausch ausgelöst, und die Laramie-Verträge halten nur so lange, bis das Land zu verlockend für weiße Siedler wird.
"Deadwood" basiert auf den tatsächlichen Ereignissen, die sich um 1880 abgespielt haben, die Charaktere sind historische Figuren.
Die Idee von Deadwood: Die amerikanische Nation basiert auf brutal verfolgtem Eigeneninteresse, auf Gier, auf den Grundprinzipien des Kapitalismus - und durch einen Zufall, durch eine schwer zu erklärende Balance, ensteht aus diesem Mix ein funktionierendes Gemeinwesen. Al Swearengen (Ian McShane) ist der Gründervater der Stadt: ein brutaler, skrupelloser Mann, Besitzer des Bordells The Gem, der in beinahe jeder Folge eigenhändig eine Blutlacke aufwischt. Seth Bullock (Timothy Olyphant) ist das Gegenteil: ein Idealist, der seinen Posten als Sheriff aufgegeben hat, um in diesem neuen Gebiet einen Hardware-Store zu eröffnen, um ein neues Leben zu beginnen, der aber nach einiger Zeit gar nicht anders kann, als den Posten als Gesetzeshüter (als die informellen Strukturen formalisiert werden, um eine Annexion durch South Dakota möglich zu machen) anzunehmen. Trotz ihrer manchmal beinahe tödlich endenden Konflikte finden sich die beiden in der dritten und letzten Staffel im gleichen Team. Der größte Feind des freien Marktes ist der Monopolist - der wird in der Person von George Hearst eingeführt, in Gold-Millionär, der nicht nur die gesamten Goldvorkommen der Stadt in seine Hände reißen will, sondern die Stadt selbst mit ihren Institutionen. Nichts anderes haben die zuvor etablierten Akteure versucht, nur dass sie gezwungen waren, Allianzen einzugehen und zu koopieren, um ihre Ziele zu erreichen, und dadurch ist eine, wenn auch fragwürdige, Form der Demokratie entstanden.
Zu dem Personal diese gehören: ein unfähiger Bürgermeister, der vor allem wegen seines fehlenden Talents zur Eigeninitiative in diesen Posten gewählt wurde (E.B. Farnum, gespielt von William Sanderson), ein idealistischer Zeitungsmacher, der sich als vierte Kraft im Staate missversteht, ein chinesischer Geschäftsmann, dessen Schweine die Entsorgung der zahlreichen nicht legitimierten Todesopfer der Stadt besorgen - und eine große Front an überraschend emanzipierten Frauen, die auf verschiedenste Arten versuchen, aus ihrer marginalisierten Position heraus ebenfall ein Stück vom Kuchen abzubekommen, unter ihnen eine Ostküstenschönheit, die durch Zufall an den größten Claim Deadwoods kommt, eine Hure, die ihr eigenes Bordell eröffnet, eine Pinkerton-Agentin, deren vorgespielte Unschuld erstaunlich lange erfolgreich ist, eine historische Heldin (Calamity Jane), die gegen Ende der Serie hauptsächlich gegen ihren Alkoholismus kämpft.
Die klassische Geschichte des amerikanischen Westens wird in den ersten paar Folgen begraben. Wild Bill Hickok (Keith Carradine), legendärer Westernheld, wird von einem Pokergegner erschossen. Deadwood ist keine Stadt der Helden, und diese Nation wird auch nicht auf Heldentaten errichtet, sondern auf Gier nach Gold, skrupellos verfolgtem Eigeninteresse, Sex als Ware, Kampf um die Vorherrschaft, Mord.

Leider konnte die Geschichte nur drei Staffeln lang erzählt werden und findet wegen der vorzeitigen Absetzung keinen richtigen Abschluss. Das ist einer der essentiellsten Versuche, Amerika in seinem Kern zu erfassen und zu erklären, und bietet nebenbei die erstaunlichste Schauspielleistung, die ich seit sehr langer Zeit gesehen habe. Und eine Folge lang geht es nur um die banalste Brutalität des menschlichen Lebens: Al Swearengen kämpft gegen einen Blasenstein.

2004-2006, Idee: David Milch, mit Timothy Olyphant, Ian McShane, Molly Parker, Jim Beaver, Powers Boothe, John Hawkes, Paula Malcolmson, William Sanderson, Kim Dickens, Robin Weigert, Keone Young, Sarah Paulson, Gerald McRaney. Alle drei Staffeln sind als DVD erhältlich.

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