Tuesday 5 September 2006

Die Stille nach dem Schuss

"Alles ist so gewesen. Nichts war genau so."

Als Rita Vogt, Andreas Klein und Friederike Adebach mit Kompanie eine Bank überfallen und dabei elegante Slogans wie "Eigentum ist Diebstahl" verkünden, fühlt man sofort einen Anknüpfungspunk an Baader. Andreas Klein (Harald Schrott), der in Volker Schlöndorffs Film eine Variante Baaders darstellt, sieht aus wie ein verruchter, elegant-gefährlicher Verbrecher. Rita Vogt (Bibiana Beglau) ist erst 21, und scheinbar wurde sie naiv und reihäugig in das Geschehen hineingezogen – sie wiederholt die Phrasen des Sozialismus, des gerechten gewalttätigen Widerstandes ("Das waren die heiteren Jahre [..]. Irgendwie wollten wir das Unrecht abschaffen und den Staat gleich mit"), aber am Ende des Filmes wird sie die einzige sein, die es die ganze Zeit über erst gemeint hat und wirklich daran glaubte. Zu diesem Zeitpunkt ist Klein schon längst nichts mehr als ein toter Körper auf einem grobkörnigen Fernsehapparat. Die Befreiung Kleins aus dem Gefängnis bildet auch hier einen Kernpunkt in der Handlung – es ist der Moment, in dem Friederike Adebach (Jenny Schilly spielt Ulrike Meinhof) teil des Geschehens wird, aber nachdem jemand stirbt, nisten sich langsam die Zweifel ein. Kontakte mit der DDR, das heißt, mit der Stasi, werden geknüpft, die schickt die Gruppe nach Beirut (die Baader-Meinhof-Gruppe lernte bei den Palästinensern). In Paris geht das bohemische Leben weiter, und dem Zuseher wird immer mehr klar, dass hier der eigene Widerstand inszeniert wird – was noch ohne Drogen und Alkohol übrig bliebe, ist immer die Frage, Friederike ist dabei, um aus ihrem bourgeoisen Elternhaus zu fliehen, Andi sieht sich selbst mehr als Clyde als sonst was, schick gekleidet wie die Nouvelle Vague wird auf dem Mofa durch die Stadt gefahren. Bis zu diesem Punkt folgt der Film der Idee, die auch Baader verfolgt, doch der entscheidende Punkt kommt in einer Pariser Parkgarage, in der Rita einen Polizisten erschießt, damit ihre Identität nicht entdeckt wird. Was für Klein notwendig ist, vielleicht sogar bewundert wird, löst in Rita einen Schock aus, denn dies ist nicht der Kampf, wie sie ihn sich vorstellt. Nun rückt der Fokus von der Inszenierung, der Ästhetik der Gruppe, zu Ritas eigener Innenwelt. Ab jetzt geht es darum, inwiefern die persönlichen Ideale bestehen bleiben, wenn ein Mensch dazu gezwungen ist, seine eigene Identität ständig zu verändern, was überhaupt mit jemandem passiert, der auf der Flucht ist und sich auf nichts verlassen kann. Der Englische Originaltitel The Legends of Rita gibt hier mehr Aufschluss. Die Entfremdung von Klein, vielleicht auch der Moment, in dem das Entsetzen einfach größer ist als die Liebe zu ihm, findet in der DDR ihren Höhepunkt, als er bei einer Schießübung nicht zögert, einen Schäferhund zu töten. So banal dieser Moment auch erscheinen mag, treffen hier grundsätzlich verschiedene Ansichten darüber, was der politische Kampf rechtfertigt und was nicht, aufeinander. Rita beschließt, auszusteigen. Bevor sie ihre erste Rolle in der DDR übernimmt, sagt ihr der Stasi-Offizier, der sie von nun an betreuen wird (Martin Wuttke als fürchterlich undurchsichtiger Erwin) "du wirst den Sozialismus mit den richtigen Augen sehen, du wirst sehen, dass wir die Leute manchmal zu ihrem Glück zwingen."

In der DDR arbeitet Rita, nun Susanne Schmidt, in der Abteilung Modedruck einer trostlosen Textilfabrik. Sie wohnt in einer Plattenbausiedlung, und nichtsdestotrotz scheint sie vollkommen glücklich zu sein, sie glaubt an dieses System, was von ihrem Mitarbeitern sehr kritisch beäugt wird, vor allem, als sie als einzige für Nicaragua spendet. Sie findet das Glück im Kleinen und wird sogar eine Art Mutterfigur für eine ihrer Mitarbeiterinnen, Tatjana (Nadja Uhl), die verzweifelt nach irgendeinem Halt sucht und Alkoholikerin ist. Tatjana versteht überhaupt nicht, worin für Susanne der Reiz der DDR liegt (sie erklärt es später recht eindringlich "ich fand die Idee besser – weniger Armut, weniger Reichtum"), sie meint, es wäre besser, den Menschen die Wahl zu lassen, für sich selbst herauszufinden, welches Regime ihnen genehmer ist. Aus der Freundschaft entwickelt sich langsam eine Liebesgeschichte, bis Ritas Leben ein weiteres Mal zusammenbricht, nach einem Fernsehbericht, bei dem ihr Bild als Gesuchte gesendet wird, gibt ihr die Stasi ein weiteres Mal eine neue Identität, diesmal ist die Situation sogar noch prekärer, da die DDR inzwischen internationale Sanktionen gegen Terrorismus unterschrieben hat.

Ein weiteres Mal versucht sie sich, diesmal als Sabine Walter, ein normales Leben aufzubauen. Sie arbeitet für die Partei als Betreuerin in einem Ferienlager, verliebt sich in Jochen (Alexander Beyer, der irgendwann bestimmt Rudi Dutschke spielen wird), doch es ist 1989 – das Ende der Geschichte zeichnet sich bereits ab, und sie darf nicht mit Jochen nach Russland gehen, obwohl er sie heiraten will, und als sie ihm sagt, wer sie ist, verlässt er sie entsetzt.

Mit dem Mauerfall kommt das Ende. In einem Tagebuch an Tatjana, die wegen Rita im Gefängnis war, schreibt sie "es hat mir eingeleuchtet, dass wir in einem falschen System gefangen sind, nur der Guerillakrieg hat zu keiner Befreiung führen können, weil uns niemand verstanden hat." Ihre Ideale sind immer noch die selben, obwohl sie ihr das gesamte Leben gekostet haben. Erwin gibt ihr die Möglichkeit zu fliehen, während um seinen eigenen Hals auch schon die Schlinge enger wird (in einem der stärksten Bilder des Filmes geht er durch sein Bürogebäude, dessen Boden mit geschredderten Akten bedeckt ist) – das System hat versagt, die Alternative ist an sich selbst und am Rest der Welt gescheitert. Rita versteht immer noch nicht, was eigentlich geschehen ist, schließlich hat sie bis zum Ende daran geglaubt, dass es eine funktionierende Alternative zum Kapitalismus geben kann. "Es war doch ein großer Versuch hier. Es war doch eine Revolution. Es sollte doch eine Welt werden, in der das Geld nicht alles regiert." Doch die private Vision einer besseren Welt scheitert an den politischen Umständen, und letztendlich stirbt Rita – erschossen von einem Grenzsoldaten, der zuvor noch gemeint hat, er würde niemals auf einen Unschuldigen schießen.

2000, Regie: Volker Schlöndorff, mit Bibiana Beglau, Martin Wuttke, Nadja Uhl, Harald Schrott, Alexander Beyer, Jenny Schily, Mario Irrek.

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